Karl-Heinz Schulze

Karl-Heinz Schulze (ehemaliger Ober- und Stabsfähnrich) E-Mailadresse Nr.: 18

27.8.2007

Hallo,
Habe die Seite eher durch Zufall am heutigen Tag gefunden. Am 3. Oktober wird auf NDR-Info eine 30 minütige Dokumentation über die Bausoldaten in Prora gesendet. Die Sendezeit ist mir nicht bekannt. Auf Empfehlung von Herrn Wolter trat der NDR an mich mit der Bitte um Unterstützung heran. Diese Unterstützung wurde gewährt. Der Leser wird sich jetzt fragen, warum diese Zeilen in dieser Form. Der Grund ist jener, dass ich kein Bausoldat war, sondern der Hauptfeldwebel der 3. Baukompanie vom 01.09.1983 bis Mai 1986. Von Mai 1986 bis zu meiner Inhaftierung durch die Staatssicherheit am 24. Juli 1989 war ich im Stab verantwortlich für die Bekleidung und Ausrüstung. Nach den Hafttagen hatte ich in der "Wendezeit" 1990 in der Offiziersschule als Tellerwäscher gearbeitet. Als freiwilliger Berufssoldat war ich von den anderen Offizieren und Vorgesetzten geächtet und gehörte auch keiner der sich herausbildenden Seilschaften an.  Zu den verschwundenen Akten der Staatssicherheit. Nach Aussage von Major B. (Name ist mir bekannt) wurde im Februar 1989 mit der Aktendurchsicht und Vernichtung
begonnen. Die Reihenfolge wurde so gewählt, dass alle relevanten Akten der Vorgesetzten zuerst gesäubert wurden. Dadurch war es möglich, dass ehemalige Offiziere der Sicherheit ungesehen als Unteroffiziere in der Bundeswehr bis 1994 weitergearbeitet hatten. Alle Aktenbestände welche sich bis Herbst 1989 in Prora befanden sind nach Auskunft der Gaukbehörde bis auf restliche Schnipselbestände vernichtet.

Ich für meine Person habe mich gegenüber dem NDR bereiterklärt, an der Wahrheitsfindung über die Bausoldaten der NVA und auch die Rolle der Vorgesetzten mit zu arbeiten. Sollte von Seiten der ehemaligen Bausoldaten ebenfalls Bereitschaft vorhanden sein, dann möchte der Betreiber dieser Seiten Kontakt zu mir aufnehmen.

Mit aufrichtigen Grüßen

Karl-Heinz Schulze ehemaliger Ober- und Stabsfähnrich


28.08.2007


Sehr geehrter Herr Bemmann,

ich bedanke mich für die schnelle und sachliche Antwort. Ich gehe davon aus, dass wir uns persönlich begegnet waren, ohne sich konkret daran erinnern zu können. Zuerst bedanke ich mich dafür, dass aus Ihren Brief nicht die Fratze der Feindschaft, sondern der gegenseitigen Achtung spricht. Inzwischen sind sehr, sehr viele verlorene Jahre in das Land gegangen. Über das, was uns bewegt kann man ganze Bücher Schreiben, nur wer wird diese lesen?

Seit 1986 war ich verantwortlich für die Bekleidung und Ausrüstung. Die Nichtpassmäßigen Uniformen, die Probleme bei der Reinigung und die Sicherstellung vor allem mit Regenklamotten sorgten immer wieder zu berechtigten Eingaben und Kritiken. Möglicherweise können Sie sich jetzt etwas verschwommen an mich erinnern. Ab und zu hatten auch Bausoldaten im B/A Lager arbeiten dürfen/müssen. Die Tätigkeit in diesem Fachbereich brachte mir die Stasihaft ein. Ursache war, das der Batalionskomandeur, ein Parteisekretär und ein ganzer Ring von Vorgesetzen verschiedenster Dienstgrade aus meinen Felddienstuniformbestand eine bestimmte Anzahl in die damalige Bundesrepublik gegen Videoanlagen verschmuggelten. Das nur abweichend dazu, wie ich so tief „abstürzen“ konnte. Nein ich habe dies nicht als Absturz verarbeitet. Es war etwas anderes, etwas was vermutlich nur die Bausoldaten nachvollziehen können. Ich, ein bekennender Kommunist wurde schlimmer behandelt als es sich ein Mensch überhaupt vorstellen kann. Ich hatte den kalten Krieg als heißen erlebt. Ich war 10 Jahre an der Westgrenze, bevor ich nach Prora kam. Ich war 21 Jahre alt, als von bundesdeutscher Seite auf mich und meinen Posten geschossen wurde. Das war der Grund, weshalb ich Berufssoldat wurde. Ja, auch ich habe mein Trauma. Dann kam ich nach Prora. Ich freute mich auf die neue Aufgabe. Was ich aber dort erlebte ließ Widersprüche ausreifen, welche mit meiner Überzeugung nicht vereinbar waren. Wie den Grad zwischen militärischer Pflichterfüllung und persönlichen Widersprüchen dazu gehen?
Ich erinnere mich gern daran, wenn ich Abenddienst in der 3.Baukompanie, Kompaniechef Hptm Suche, ehemaliger Politoffizier hatte, wie man mit manchen Bausoldaten (West-)Kaffee getrunken hatte. Wir redeten offen und ich erhielt 1985 kurz nach meiner Hochzeit das Angebot, mich für
10.000,00 DM „Freizukaufen“ Das lehnte ich ab und unterließ auch eine Meldung an meine Vorgesetzten. Ich betrachtete es eher als eine spaßige Provokation. Ich selber war in der SED offiziell der „Genosse“ mit der längsten Parteistrafe. Deshalb gab es für mich keine Beförderungen und Prämien. Meine Bausoldaten quittierten jedes Mal, wenn ich beim Batallionsapell keine Prämie bekam dies mit Beifall, ich bekam danach den Ärger der Vorgesetzten zu spüren.
Wer erinnert sich noch an das umgedichtete Lied von Buchenwald, „Wir sind die Moorsoldaten“? Wer erinnert sich noch an den Text, „Wir sind die Bausoldaten und ziehen zum Bau...“
Kurz um, alle diese Erfahrungen hatten auch mich verändert. Nach meiner kurzen Stasihaft begrüßte auch ich die „Wende“, denn es war notwendig, dass sich vieles ändert. Ich erlebte Gemsböcke, durch und durch verlogene Parteifeiglinge, Schmeichler und andere Wichtigtuer.
Ein Lieblingsspruch von mir an meine Bausoldaten war, „Am Tag des jüngsten Gerichts sehen wir uns wieder“ Bisher ist er noch nicht eingetreten, aber ich arbeite seit mehreren Jahren daran wieder in Kontakt zu kommen. Ja Prora hat uns alle verändert, was wurde aus unseren Träumen und Sehnsüchten nach einer besseren Welt? Welche Schuld oder Nichtschuld hat ein Jeder oder nur ich persönlich daran, dass alles so Enden musste? Gibt es eine Möglichkeit sich mit Abstand der Jahre sich gegenseitig ehrlich in die Augen zu schauen? Gibt es weltanschauliche Differenzen und wie sehen diese heute aus?

Dies soll für heute eine Antwort gewesen sein.
Ich bin durchaus dafür, die Stellungsnahmen von ehemaligen Vorgesetzten so wie vorgeschlagen zu veröffentlichen. Es werden sich nach meiner Überzeugung nur wenige dazu bereit erklären.
Im „Vorpommern-Blitz“ ist zum Thema am 26.08.07 ein Beitrag von mir veröffentlich worden. Diesen sende ich mit. Die Beiträge von mir sind zur wortgetreuen Veröffentlichung autorisiert.

Ich wünsche mir, dass sich viele ehemalige Bausoldaten und möglichst viele ehemalige Vorgesetzte ehrlich, selbstkritisch und lernwillig zu dieser, unserer gemeinsamen Geschichte äußern.

Danke und herzliche Grüße


Redaktion  Vorpommernblitz 19.08.07
Ausgabe Rügen


Sehr geehrte Damen und Herren der Redaktion,

in der heutigen Ausgabe des Rügen Blitz gibt es einen  redaktionellen Artikel zu den Bausoldaten der NVA mit der Überschrift „ Im Spiegel der Kritik“.
Kritik betrifft aber nicht nur der Titel des Buches von Herrn Wolter, ehemaliger Bausoldat aus
Prora, sondern die Art und Weise wie mit diesem sehr sensiblen Thema umgegangen wird. Dass das Thema Bausoldaten in der NVA noch nicht erledigt ist, beweisen auch heute noch das Medieninteresse. Der NDR Info beabsichtigt am 3.10.07 eine Dokumentation über die Bausoldaten von Prora auszustrahlen. Entsprechend einer Bitte des Herrn Wolter ist der NDR an meine Person herangetreten und bat um Unterstützung. Diese wurde gewährt, um erstmals seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten gemeinsam über Erlebtes, Vorkommnisse aber auch Angenehmes zu berichten. Zu Bedenken ist, dass ich kein Bausoldat, sondern ein Vorgesetzter der Bausoldaten war. Dabei wurden auch brenzlige  Fragen wie Ausbeutung von Bausoldaten in der DDR nicht ausgeklammert. Was waren Motive um den Dienst mit der Waffe zu verweigern? Welche Rolle spielten Glauben, Weltanschauungen und negative persönliche Erfahrungen mit der Staatsmacht in der Entscheidungsfindung junger Leute? Gab es familiäre Traditionen aus den antifaschistischen Kampf, sich lieber eine Hand abhacken zu lassen, als je eine Waffe an zu fassen? Es ist an der Zeit das Kapitel Wehrdienstverweigerung/Bausoldaten aus der stillen Anonymität heraus zu holen und ihr das Mystische zu nehmen. Wortbeiträge wie „Das Trauma und Wir“ oder „Psychische Drangsal“ gehen in der Qualifizierung der subjektiven  persönlichen Empfindungen der handelnden Personen vorbei. Auch normale NVA Soldaten hatten wie jeder Soldat in einer X beliebigen Armee ähnliche Empfindungen. Damit kann man auch die Verbindung zu Heute knüpfen. Was empfinden die Soldaten, welche in Afghanistan eingesetzt sind, was empfinden die Angehörigen? Welche Rolle und Aufgaben sind der Friedensbewegung
angedacht? Auch hier in der Einordnung und Auseinandersetzung mit dem Thema Bausoldaten sollte man nicht mit Steinen werfen, wenn man im Glashaus sitzt. Wer davor sitzt sollte es ebenfalls sein lassen, denn das ist genau so unseriös. Ein Ausweichen des Bezuges zu Heute und den hier existierenden gesellschaftlichen Problemen ist scheinheilig. Gleichzeitig habe ich meine Bereitschaft erklärt, als ehemaliger Vorgesetzter von Bausoldaten am 2. Bausoldatenkongress teilzunehmen.


Karl-Heinz Schulze, damals Stabsfähnrich in der Baueinheit II
 

zurueck22

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