Der kleine Abstellraum, der sich direkt im Bereich des Treppenaufgangs befand, war für die Arbeitskleidung der Bau- soldaten vorgesehen. Eigenartigerweise war dieser Raum tapeziert! Ansonsten gab es in Prora nur Tapete in den Zimmern der Vorgesetzten. Es stand dort eigentlich nur ein Kleiderständer, der den gesamten Raum einnahm und es war sehr eng dort. An dem Kleiderständer hingen auch sehr eng die völlig verschmutzten und vom Schweiß getränkten Arbeitssachen der Bausoldaten. Das Waschen dieser Kleidung war nicht möglich. Auch ein Austausch dieser Sachen geschah sehr selten. Einige Bausoldaten trugen diese Kleidungsstücke ihre gesamte Armeezeit hindurch!!! Es war einerseits ekelhaft, hatte aber andererseits auch Vorteile. Durch den abstoßenden Gestank trauten sich die Vorgesetzten nicht so nahe an einen heran. Die Gerüche wurden noch verstärkt durch regelmäßigen Knoblauch- genuss. Unter dem Kleiderständer standen dann noch die Arbeitsstiefel, die ebenfalls anderthalb Jahre ungewechselt durchhalten mussten. Das dort vor- herrschende Geruchsgemisch war so bösartig, dass sich selbst die sonst allgegenwärtigen Mücken nicht wohl fühlten. Ebenso wie die Stechmücken trauten sich dort auch die Vorgesetzten nur selten hinein. Selbst bei der ge- fürchteten *„Tiefenkontrolle“ wurde dieser Raum meines Wissens nicht beachtet. Das machte ich mir zu Nutze. Ich besorgte mir 2 zusätzliche Paare „Stinkstiefel“ (eins davon fand ich auf der Baustelle im Müll), die ohne Namen sozusagen herrenlos in dem Raum herum standen. Ein ideales Versteck für alles, was man in Prora nicht haben durfte. Da war zeitweise mein Radio „Helmut“, unerlaubte Notizen, Fotoapparat und sogar kurzzeitig ein Westbuch unterge- bracht. Das waren alles Dinge, für die man in Prora eine harte Strafe bekommen hätte.
*„Tiefenkontrolle“ oder auch „Tiefung“ Bei einer Tiefenkontrolle wurde so ziemlich alles auseinander genommen und kontrolliert, was es bei den Bausoldaten gab. Selbst die Spinde wurden von den Wänden weggerückt, Betten abgezogen, Matratzen hochgehoben, Bücher einzeln durchgeblättert ... Tiefenkontrollen fanden stets unverhofft und unter einem hohen personellen Aufwand bei den Vorgesetzten statt. Man kam z.B. abends von der Baustelle und wurde praktisch im Fernsehraum eingesperrt. Vor jedem Zimmer hielt ein Offizier Wache. Einzeln wurden dann die Bausoldaten in ihr Zimmer geholt und dann ging es unter den wachsamen Augen der Vorgesetzten los. Spind ausräumen, Bett abziehen usw.
Tobias Bemmann (Bausoldat von November 1985 - April 1987)
|