Paradiesruinen

Mathias Tietke (ehemaliger Bausoldat) (E-Mailadresse Nr. 28)

Paradiesruinen. Das KdF-Seebad der Zwanzigtausend auf Rügen

von Jürgen Rostock und Franz Zadnicek


Rezension

10. Januar 1993 / Nr. 2 die Kirche

Tabuthema Östseebad Prora
Paradiesruinen. Das KdF-Seebad der Zwanzigtausend auf Rügen. Von Jürgen Rostock und Franz Zadnicek. Ch. Links Verlag Berlin. 1992. DM 42,-.
Die letzten 40 Jahre war es (militärisches) Sperrgebiet. Davor sollte es einem der ehrgeizigsten Bauvorhaben der NS-Zeit dienen: das Areal um Prora an der Ostseeküste der Insel Rügen.
Für diese landschaftlich reizvolle Stelle war im „Dritten Reich" ein gigantisches Seebad vorgesehen, wo die deutschen Arbeitnehmer nach der Zerschlagung der Gewerkschaften bei Laune gehalten und ihre Nerven gestärkt werden sollten. Die Nazis prägten für diesen verordneten Frohsinn das Kürzel „Kraft durch Freude" (KdF). Kraft und Nervenstärke für jene Perversion, die da kommen würde.
Das Modell des Projektes „KdF-Seebad Rügen" erhielt auf der Weltausstellung in Paris den Großen Preis. Anerkennung für eine Architektur, die sich von den Betonsilos in Marzahn kaum unterscheidet. Grundsteinlegung war dann im Mai 1938, doch schon anderthalb Jahre später mußte wegen des Krieges das Projekt gestoppt werden.
Bald nach Kriegsende wurde das gesamte Gelände durch das ostdeutsche Militär in Beschlag genommen, ein Großteil der sich am Strand langziehenden Gebäude zu Kasernen ausgebaut und entsprechend genutzt. Gerüchte von einem U-Boot-Hafen und einer U-Bahn-Strecke zwischen Binz und Saßnitz wurden vom NVA-Führungsstab bewußt fingiert und verbreitet.
Stationiert waren in Prora - auch das ist in der Dokumentation von Jürgen Rostock (Text) und Franz Zadnicek (Fotos) dargestellt - über 400 Fallschirmjäger, eine auf Nahkampf und Kampfsport spezialisierte Eliteeinheit. Hier wurden zu DDR-Zeiten Afrikaner und Südamerikaner im Kriegshandwerk ausgebildet, und ab Anfang der 80er Jahre war in Prora die vermutlich größte Ansammlung von Bausoldaten untergebracht und zum Aufbau des Fährhafens Mukran eingesetzt. Auf makabere Weise führten so „rote" Generäle die Intention „brauner" Strategen aus: 20 000 Arbeiter sollten in Prora unter Aufsicht der Nationalsozialisten ihren Geist und Körper stählen-. Im Arbeiter-und Bauern-Staat, dem real existierenden Sozialismus, wurden schließlich zwischen
15 000 und 20000 Menschen auf diesem Terrain gedrillt und beaufsichtigt.
Das Buch „Paradiesruinen" dokumentiert in erster Linie die Baugeschichte des geplanten
KdF-Seebades auf Rügen. Der Architekt Clemens Klotz, dessen Entwurf favorisiert und Grundlage der Bebauung wurde, wird porträtiert. Daneben werden Hintergründe, allgemeine Darstellungen über Architektur im Nationalsozialismus, Hitlers „Faible" für „Baukunst" sowie Ziele und Entwicklung der NS-Organisation KdF aufgezeigt. Das Buch räumt auf mit Legenden und Gerüchten. Es benennt neue Gefahren für die Landschaft durch Massentourismus und setzt erstrebenswerte Nutzformen dagegen.
Denkbar und wünschenswert wäre für mich, der ich als Bausoldat 18 Monate in Prora leben mußte, neben einer größtmöglichen Verfremdung der Bauten durch Farbe und Bepflanzung auch ein Zentrum für die Geschichte der Wehrdienstverweigerer. Vor jede weitere Planung gehört eine kritische Bestandsaufnahme und der Versuch einer Bewertung. „Paradiesruinen" erfüllt dies. Der Ansatz des Buches ist Aufklärung und das Verdienst des Autors und des Verlages, Licht in eine Grauzone gebracht zu haben.
Mathias Tietke

_______________________________________________________________________________________________

Startseite; Zum Gedenken; Presseseite; Prora; Fragen; Bausoldaten; Vorgesetzte; Literatur; Gästebuch; Kontakte; Termine; Links

Copyright ©