Kieler Nachrichten

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Donnerstag, 24. Januar 2008

Aufarbeitung der DDR Geschichte

Für die einen waren sie Drückeberger. Für sie selbst war ihr "Dienst mit dem Spaten" die einzige Alternative, wenn sie dem Codex der DDR aus Glaubens- und Gewissensgründen nicht folgen mochten: die Bausoldaten der Nationalen Volksarmee (NVA). Als "Staatsfeinde" wurden sie schikaniert, von der Stasi überwacht, bei der Ausbildung und im Berufsleben diskriminiert. Bis heute ist ihr Schicksal kaum aufgearbeitet. Einen Ort, der an ihren Frondienst erinnert, gibt es
nicht. Ehemalige "Spatis" machen sich jetzt für eine öffentliche Auseinandersetzung stark.

Die "Spatis" kämpfen gegen das Vergessen

Von Martina Wengierek

Eine der Hürden sind sie selbst. "Wurden wie in der DDR-Zeit totgeschwiegen, schweigen wir uns heute selber tot", beklagt einer von ihnen, Bernhard Wagner. Ein "1. Bausoldatenkongress" im Jahr 2004 in Berlin verhallte. "Die Vernetzung untereinander hat nicht funktioniert", stellt der damalige Mitorganisator Gerold Hildebrand für die Robert-Havemann-Gesellschaft fest.
Auch der gebürtige Eisenacher Stefan Wolter, der als 19-Jähriger nach Rügen abkommandiert worden war, findet es seltsam, dass die meisten der Ehemaligen so verdrängen. "Für viele ist die Zeit wohl noch nicht reif", vermutet er. Der Medizinhistoriker hat sich das Trauma in einem Buch ("Hinterm Horizont allein - Der Prinz von Prora") von der Seele geschrieben. Von November 1986 bis April 1988 war Wolter einer von insgesamt tausenden Bausoldaten, die unter härtesten Bedingungen mithalfen, den für Ost-Berlin strategisch wichtigen Fährhafen Mukran aus dem Boden zu stampfen. Für das sozialistische Prestigeobjekt mussten die jungen Männer bis zu zwölf Stunden täglich hinter Stacheldrahtzäunen Schwerstarbeit verrichten.
Untergebracht waren sie im Block 5 des gigantischen, unvollendeten "Kraft-durch-Freude"-Seebades der Nationalsozialisten, bekannt als "Koloss von Rügen". Ihre Vorgesetzten behandelten sie wie Menschen zweiter Klasse, Schikanen waren an der Tagesordnung. Kontakte mit den regulären NVA-Soldaten waren verboten, bei Filmvorführungen mussten die Bausoldaten separat sitzen. Jeder lebte dort „seine kleine Welt für sich“, erinnert sich Ex-Bausoldat Tobias Bemmann, „weil jeder wusste, der andere könnte ein Spitzel sein“. Manchmal habe er nur das Meer angeschrieen: „Ich will hier raus!“
Für den heute 48-Jährigen aus dem Erzgebirge war die Lektüre des Buches von Stefan Wolter ein Schlüsselerlebnis. „Da sind erst mal die Alpträume zurückgekehrt“, gesteht der Heilerziehungspfleger. Im Zuge des Kontakts mit Wolter entstand im Sommer 2007 die Idee, für ehemalige Bausoldaten im Internet ein Forum zu schaffen – um sich auszutauschen, aber auch, um Licht in den dunklen Filz“ zu bringen, wie Wolter es formuliert. Denn in Prora, so die Vermutung, seien schon Monate vor der Wende in großem Stil Unterlagen über die Wehrpflichtigen vernichtet oder zur Seite geschafft worden. Wo sind die Akten geblieben? Ein „blinder Fleck in der
DDR-Forschung“, klagt Bemmann, der sich bei der Birthler-Behörde um einen entsprechenden Forschungsauftrag bemüht.
Eine andere Hürde ist das allgemeine Desinteresse. Wolter ärgert der Umgang mit Prora, weil der öffentliche Fokus auf ein KdF-Bad verharrt, das als solches ja nie Geschichte gemacht habe. Für ihn und seine früheren Leidensgenossen ist der Koloss ein Denkmal der Entrechtung aus
DDR-Zeiten. Er kämpft deshalb dafür, in Block 5 eine Gedenkstätte einzurichten. Doch Block 5 wurde vom Bund an den Landkreis Rügen verkauft, der hier bis 2010 eine Jugendherberge bzw. Begegnungsstätte mit etwa 500 Betten einrichten will. Sollen hier Partys stattfinden, „ohne dass die Kids wissen, was hier einmal war?“, fragt sich Wolter.
Am Ende bleiben vielleicht zwölf Quadratmeter zum Erinnern. Wolter gelang es, den früheren Klubraum vor den Bautrupps zu sichern. Rügens Bauamtsleiter Rainer Roloff ließ ihn in Rücksprache mit dem Jugendherbergswerk quasi versiegeln. Dahinter ein original rotbraun lackierter Fußboden und eine bunte Rügen-Karte, die ein unbekannter Bausoldat auf die Wand malte. „Hier haben wir immer unsere Briefe geschrieben. Die Geschichte lässt sich nirgendwo besser dokumentieren“, meint Wolter.
Während die Proraer „Spatis“ ungeduldig darauf warten, dass es weitergeht, spricht Bauamtsleiter Roloff von „Schnee von morgen“. Denn die Planungen für die Jugendherberge insgesamt würden sich wohl, so schätzt er, noch bis Ende des dritten Quartals 2008 hinziehen. Allerdings hat
er „durchaus Verständnis“ dafür, dass ehemalige Betroffene dafür kämpfen, diesen Platz als Erinnerung an ihre Zeit zu erhalten. Er kann sich vorstellen, den Raum „multifunktional“ in eine spätere Projektarbeit mit Jugendlichen einzubeziehen.
Für die Nachwelt gerettet wäre immerhin ein kleines Lehrstück über die Diktatur und eine der schmerzhaftesten Formen des Widerstands. Nicht nur während der 18 Monate in Uniform: Für viele, die mit ihm Mitte der 70er Jahre als Bausoldat dienten, habe die Entscheidung „das absolute Karriere-Ende“ bedeutet, erinnert sich Wolfgang Tiefensee (SPD) kürzlich im ZDF. Aber: „Das war praktisch eine der wenigen Möglichkeiten, dem Regime ganz deutlich zu sagen: Ich mache nicht alles mit, was ihr wollt.“

www.proraer-bausoldaten.de
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Stichwort
Bausoldaten
Am 24. Januar 1962 wurde in der DDR die Wehrpflicht eingeführt. Ein ziviler Wehrersatzdienst wie im Westen war unbekannt, 1964 schuf der Nationale Verteidigungsrad der DDR aber die Möglichkeit, den Dienst mit der Waffe zu verweigern. Auch diese Sonderform des Wehrdienstes dauerte 18 Monate. Die Uniform enthielt einen kleinen Spaten auf den Schulterklappen, so dass sich die Verweigerer selbst als „Spatensoldaten“ („Spatis“) bezeichneten. Sie wurden in den unterschiedlichsten Bereichen eingesetzt. Sie arbeiteten als Gärtner oder als Krankenpfleger in militärischen Einrichtungen, in der chemischen Industrie, im Braunkohle-Tagebau und als Hilfskräfte beim Bau von militärischen Einrichtungen. Wer auch den Dienst als Bausoldat verweigerte, (Totalverweigerer) musste mit einer Verurteilung zu etwa 2 Jahren Haft rechnen.

Prominente Bausoldaten
Auch sie trugen den Spaten auf dem Schulterstück ihrer NVA-Uniform: Wolfgang Tiefensee (53), Bundesverkehrsminister und Rainer Eppelmann (64), Theologe und CDU-Politiker. Der katholische SPD-Politiker Tiefensee, der aus Gera stammt, absolvierte seinen Bausoldatendienst von 1975-76 in Dresden. Der evangelische Eppelmann, der im Osten des zerstörten Berlin aufwuchs, verweigerte 1966 den Dienst an der Waffe sowie das erforderliche Gelöbnis als Bausoldat. Dafür musste er acht Monate ins Gefängnis. Danach kehrte er zu seiner Einheit zurück.
 

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