Christian Schmidt

Christian Schmidt (ehemaliger Bausoldat) (E-Mailadresse Nr. 19)

Mein Erlebnisbericht

An einem grauen Märztag des Jahres 1980 stand auch für mich gerade 18 Jahre gewordenen Lehrling, der Gang zur Musterung im damaligen Wehrkreiskomando Pasewalk an. Schlecht vorbereitet und mit wenig Selbstvertrauen ausgestattet, betrat ich die Baracke in der das ganze stattfinden sollte. Durch christliche und pazifistische Erziehung in einer Pfarrersfamilie bin auch ich geprägt worden, wie so viele die den Waffendienst ablehnten. Mein Vater war zudem im Jahr 1929 geboren, was ihm im Februar 1945 neben den Bombennächten in Dresden auch noch eine Einberufung direkt von der Schulbank weg zur Wehrmacht einbrachte. Um nicht noch dem Führer geopfert zu werden, entschloss er sich, mit Freunden zusammen ein Versteck in der sächsischen Schweiz erst zu verlassen wenn der Spuk vorbei ist. Von der Fensterbank aus konnte er dann später seine Kameraden in die Gefangenschaft ziehen sehen. Diese Erlebnisse ließen mich später auch seine abgrundtiefe Abneigung gegen alles Militärische und diktatorische erklären.
Die Entscheidung welche Form des Umgangs mit der Wehrpflicht wir wählen, überließ unser Vater seinen 3 Söhnen selbst. Der, mit 6 Jahren Altersabstand zu mir, ältester Bruder entschied sich damals auch für den Weg der Waffenverweigerung. Mein Zweitältester Bruder hatte die Meinung, das sei alles Quatsch und ging, demzufolge zur waffentragenden Truppe, wurde meiner Meinung dann auch bestraft mit der 3malien Einberufung zum Reservedienst. In der Lehre als Möbeltischler hatte ich in der Berufsschule eine Begegnung mit dem Agitatoren der Berufsschule einem alten Genossen der mich fragte was ich den bezüglich der Armee zu tun gedenke. Auf meine Antwort dass ich Bausoldat werden will, meinte er, der Kardinal Erzbischof Romero in Nicaragua hätte ja auch das Volk zu den Waffen gerufen das würde doch keinen Widerspruch darstellen wenn ich auch eine Waffe in die Hand nähme.
Trotz dieser Versuche der Einflussnahme ging ich, außer mit  ideologischen Argumenten im Kopf, damals ohne schriftliche Stellungnahme zur Musterung.
Die Offiziere der Musterungskommission, versuchten erst in freundlichem Ton mich für den 18-monatigen „normalen Dienst“ in der NVA zu begeistern. Nachdem ich ihnen meine Vorstellung vom Bausoldaten kundtat, wurde der Ton etwas härter. Ich wurde dann gefragt ob ich schon eine Erklärung abgegeben habe. Als ich dies verneinte wurde ich in einen Raum geführt in dem ein Offizier rauchend am Fenster die Aufsicht führte. Ich durfte auf einem A4 Block meine Erklärung niederschreiben.
Die anschließende „2. Anhörung“ war schnell beendet, und die Offiziere sicherten mir zu, dass sie meinem Wunsch, Bausoldat zu werden, entgegen kommen wollen.
8 Jahre gingen ins Land in denen ich nichts von der NVA hörte. Ich arbeitete inzwischen seit 1981 bei der Diakonie in einem Behindertenheim auf der Insel Rügen. Im Januar 1988, kurz nach meinem 26. Geburtstag, in einer für mich ohnehin schwierigen Zeit, - meine Mutter lag zu dieser Zeit im Sterben, - bekam ich einen Brief vom Wehrkreiskommando Bergen/Rügen zugestellt. In diesem stand, ich sollte mich zur Einberufungs-überprüfung melden. Vor den Offizieren dieses Wehrkreiskommandos musste ich meine Beweggründe noch einmal darlegen, (sogar meine handgeschriebene Erklärung hatten sie dabei) und nach diesem relativ kurzen Gespräch, wurde mir mitgeteilt dass ich mit einer Einberufung zum nächstmöglichen Termin rechnen könne. Mit unguten und sehr gemischten Gefühlen verbrachte ich den Beginn des Jahres. Im Februar starb meine Mutter nach langer Krebserkrankung, im März und April konnte ich nun endlich die lange vorher angemeldete Fahrerlaubnis für PKW machen. Ich gab meine Nebenwohnung auf Rügen auf, da ich nach der Armeezeit ins brandenburgische Lobetal ziehen und arbeiten wollte. Mitte April bekam ich dann den erwarteten Einberufungsbefehl, in dem mir der Tag der Einberufung für den 28.04.1988  nach Brandenburg an der Havel mitgeteilt wurde. Nach dem anfänglichen Schock, versuchte ich mir damals naiv einzureden, dass ich dann sicherlich auch 5 Tage eher wieder entlassen werde.

Am besagten Tag stieg ich in den Zug und fuhr nach Brandenburg. Am Bahnhof angekommen wurden alle Männer, die von den am Bahnhof anwesenden Uniformträgern als Wehrpflichtige erkannt wurden, auf LKW’s „verladen“ und dann ging es los zur Kaserne. Ab der Zeit, als sich das Tor hinter uns schloss und wir anhielten, wurden wir nur noch angebrüllt. Die Wenigen Bausoldaten die wir in der Kaserne erkennen konnten, wurden peinlich akribisch von uns ferngehalten. Durch Handzeichen signalisierten sie uns wir sollen ruhig bleiben und uns von den Offizieren nicht verängstigen lassen. Nach dem Einkleiden, Haare schneiden und diversen anderen demütigenden Anpassungen an den „Soldatenalltag“ ging abends der Tanz erst richtig los. Die Ausbildungsoffiziere, allen voran der Spieß, trieben uns sichtlich angetrunken mit lauten Gebrüll zum Duschen. In einen großen Raum mit 16 an der Decke befestigten Duschköpfen, wurden wir schamlos beim Duschen beobachtet und angeleitet wie wir uns zu waschen hatten. Der Gedanke an die Gaskammern von Konzentrationslagern kam an diesem Abend nicht nur bei mir auf. Es folgten 12 Tage, für Bausoldaten unübliche, verschärfte Ausbildung mit allem was dazugehört. Außer der Sturmbahn und der Waffenausbildung wurde alles mit uns durchexerziert. Vom sogenannten „Fasching“ oder „Maskenball“, einem BA-Appell nach vorgegebener Zeit, bis zum laufen unter Vollschutz und der Esseneinnahme nach Normzeit und der obligatorische 3000m –Lauf, war alles vertreten. Sogar einmal „Gefechtsalarm“ mit anschließendem Gepäckmarsch nachts um halb drei wurde mit uns ausprobiert. Keiner  wagte es, sich beim Kommandeur über die Schikanen zu beschweren. Wir wussten schon seit Tagen, das wir nur zur Grundausbildung in Brandenburg bleiben, und danach auf andere Standorte verteilt werden. Ehe eine Beschwerde bearbeitet, geschweige denn beantwortet wäre, wären wir längst wo anders. Außerdem hätte man uns klargemacht dass dies alles zur Grundausbildung dazugehöre und mit jedem anderen Soldaten auch so verfahren würde.
Der 9. Mai war der Tag an dem wir „versetzt“ wurden. Es hatten sich die ersten, in der Not entstandenen Freundschaften gegründet, die nun wieder auseinander gerissen wurden. Ich hoffte nun auch, mit der Mehrzahl der anderen Bausoldaten nach Löbau in Sachsen versetzt zu werden. Zu meinem großen Entsetzen wurde ich mit 5 Kameraden nach Bitterfeld geschickt. Wer zu DDR-Zeiten diesen Namen hörte, wusste dass dort die Chemie-Industrie angesiedelt war. Das einzige was wir sonst noch wussten war das die Bausoldaten dort erst am 02. Mai eingezogen worden waren.
Der Offizier aus Bitterfeld, der uns in Brandenburg abholte, war derart freundlich, dass wir uns verdutzt anschauten und unseren Ohren nicht trauen wollten. Ohne militärisch zu grüßen, kam er auf uns zu und sagte: „sie sind also die Bausoldaten die mit mir nach Bitterfeld fahren. Ja dann steigen sie mal bitte hier auf den LKW, ich besorge noch etwas und dann geht es los“ Das Wort „Bitte“ hatten wir schon lange nicht mehr gehört. Nach vierstündiger Fahrt auf dem W 50 trafen wir dann gegen 14:00 Uhr in Bitterfeld ein, und wurden vom dortigen Spieß in Empfang genommen. Als wir uns militärisch vor ihm aufbauen und uns melden wollten, winkte er nur gelassen ab und teilte uns, jeden in eine andere Stube ein. Als wir auf die Stuben kamen staunten wir nicht schlecht. Alle Bausoldaten saßen in ihren Zimmern spielten Karten, haben gelesen oder schrieben Briefe. Auf meine Frage ob sie nicht noch Grundausbildung hätten antwortete Einer: Ja, dies sei schon der Fall, sie hätten heute Vormittag mal den ABC-Schutzanzug angehabt, und viel Spaß damit gehabt.
Wir „Brandenburger“ trafen uns kurz darauf im Flur wieder und waren einhellig der Meinung das „Bausoldatenparadies“ gefunden zu haben, wenn wir diesen Ort mit den Schikanen in Brandenburg verglichen. Nach zwei Tagen, mit gelegentlichen „Stuben und Revier reinigen“ in denen wir sonst sehr viel Freizeit hatten, wurden wir mit Arbeitsuniformen ausgestattet, und einen Tag später zum ersten mal nach Geppin bei Wolfen in den Bauhof des Chemiekombinates Bitterfeld gefahren. Wir wurden auf verschiedene Gewerke verteilt. Da ich Möbeltischlergeselle war, war ich mir so gut wie sicher auch in der Tischlerei zu landen. Doch weit gefehlt! Völlig unlogisch landeten gelernte Elektriker in der Tischlerei, gelernte Schlosser bei den Elektrikern usw. und ich bei den Gerüstbauern. Diese „Gerüstbauerbrigade“ bestand aus 8 Bausoldaten und 3 zivilen Vorgesetzten. In einem Schnellkurs wurden wir mit der Aufstellung und der Sicherung der verschiedenen Rüstungsarten vertraut gemacht und waren auch ganz schnell in der Lage ohne einen zivilen Gerüstbauer eine Rüstung aufzustellen. Obligatorische Arbeitschutzbelehrungen gab es natürlich auch die allerdings eine etwas andere Richtung hatten. Wir wurden belehrt nicht nach oben zu schauen, wenn es aus einer Rohrbrücke über uns heruntertropft, denn es könnte ja Säure sein die dann unser Gesicht verätzen würde, und wie wir uns zu verhalten haben wenn das Gasalarm-Signal ertönt. Das Gelände des Chemie-kombinates bestand zum großen Teil aus Gebäude und Anlagen die schon zu BASF-Zeiten in den 30er Jahren da waren. Überall stank und brodelte es, Gegenstände aus Metall seien schon nach wenigen Jahren durchgerostet, wurde uns berichtet. Für uns auffällig waren auch in der gesamten Region drei ca. 100m hohe Schlote, aus denen es immer blassgelb bis dunkelorange qualmte. Auf die Frage was dies denn wohl sei, wurde uns gesagt, es seien „nitrose Gase“, die direkt eingeatmet die Lunge zersetzen würden. Unmittelbar darauf wurde uns aber sofort versichert „dass dies nicht bis nach hier unten kommt“ Die Anlagen und Gebäude in und an denen ich in den darauffolgenden Monaten Gerüste stellen musste, alle zu beschreiben sprengt den Rahmen. Als dann nach 3 Monaten. Ende Juli der Befehl kam, alle Bausoldaten in die Aluschmelzerei zu stecken, in der schon damals keine zivile Kraft mehr bereit war, für ein Spitzengehalt zu arbeiten, hatte ich offensichtlich „Glück“! Bei der vorangegangenen „Tauglichkeitsuntersuchung“ wurde ich durch meinen zu hohen Blutdruck und meine Rückenbeschwerden für „untauglich“ befunden.
Die „Untauglichen“ sollten mit „Tauglichen“ aus Leuna/Buna, Löbau und Prora ausgetauscht werden. Mir war alles egal, Hauptsache heraus aus der Chemie!
Über Prora wusste ich nicht viel, obwohl ich ja auf der Insel Rügen bis zur Armeezeit gearbeitet hatte. Auch wenn es dort wieder militärisch schlimmer war, die Luft war dort wenigstens sauber!
In den frühen Morgenstunden am 28.07.1988 fuhr ein W50 mit 9 Bausoldaten Richtung Küste. In Neuseddin wurde Zwischenstopp gemacht, einige Bausoldaten blieben dort, dafür kamen andere dazu, und gegen 16:00 Uhr fuhr der LKW ins Kasernengelände in Prora ein. Ich wurde in das drittletzte Zimmer vor der Spanplattenwand am Ende des Ganges in der 4. Etage eingeteilt, und war dort der 3. Schmidt. Seltsamerweise hatte man alle 3 Schmidts der Kompanie in ein Zimmer gesteckt. An diesem Ankunftstag hatte ich auch meinen ersten „Zusammenstoß“ mit „Luftpumpe“, dem Ultn. Schulz, den ich nicht vorschriftsmäßig gegrüßt hatte. Ich stellte anschließend fest, dass wir in Bitterfeld disziplinmäßig schon ein bisschen „versaut“ wurden. Am nächsten Morgen wurden wir 04:30 Uhr geweckt, zu einer Zeit in der wir in Bitterfeld noch 2 Stunden Schlaf vor uns hatten. Als wir unten vor dem Treppenhaus in der Morgendämmerung zum Essen antraten, habe ich erst einmal meine Augen geschlossen, beide Arme ausgebreitet und das Ostseeluft-Kiefernduft Gemisch fast bis zum Schwindligwerden eingeatmet, und Gott gedankt, dass ich aus der „Chemiehölle“ weg war. Das Gebrüll von „Luftpumpe“: „Genosse Bausoldat, wie steh’n sie denn da, stell’n se sich gefälligst vernünftig in de Reihe…“ war mir in diesem Moment auch egal.
In den nächsten Wochen wurde ich in immer wieder wechselnde Kommandos im Fährhafen Mukran eingeteilt. Molenfugen vergießen, Werksbahnhof Richtung Alt-Mukran bauen, Kabelgräben schachten waren meine Arbeiten. Irgendwann wurden dann Tischler für ein Kommando gesucht das zum WBK Rostock / Betreibsteil Bergen sollte. Ich wurde mit weiteren gelernten Tischlern nach Zirkow eingeteilt, wo wir in einem frischen Plattenbau nachträglich die Fenster einsetzen mussten. Leider war dies schon im September, dessen Morgenstunden schon etwas kühl waren, und der Neubau hatte noch keine funktionierende Heizung, so dass wir das Schlafdefizit dort nicht nachholen konnten. Das WBK hatte offensichtlich Geschmack daran gefunden, ihren Arbeitskräftemangel mit Bausoldaten aufzufüllen, denn ab dieser Zeit war ich die meiste Zeit beim Kommando Bergen im Wohnungsbau. Erst im Baugebiet Bergen-Rotensee, wo wir mit zivilen Bauarbeitern Bürgersteige und Hauseingänge mit Betonplatten pflasterten. Nachdem der Bauarbeiter der die „Dreikantfeile“, einen Dreiraddumper „Piko 3“ fuhr, seinen Führerschein wegen Trunkenheit im Straßenverkehr loswurde, gab man mir einen handgeschriebenen „Berechtigungsschein“ und den Auftrag seine Stelle einzunehmen. Nach drei Wochen bemerkte dies bei einer „Kontrolle“ auf der Bausstelle Ultn. Hasse, der mich schon am nächsten Tag aus diesem Kommando abzog. Nach 3 Tagen Mukran war ich dann wieder in Bergen, diesmal aber auf der Lagerfreifläche unterhalb des Plattenwerkes an der Gingster Chaussee, wo wir bis zur Entlassung mit dem Material des WBK Lagerhallen errichteten.
Der Sommer 1989 kam, und als er ging, bemerkten wir zunehmend dass sich in der Republik etwas tut. Durch Buschfunk erfuhren wir, dass der Spieß aus der Kompanie über uns, von seinem Ungarnurlaub nicht zurückkehrte. Die Situation in Berlin, Leipzig und Dresden am 7.-9. Oktober drang nur durch Kameraden, die auf KU waren, zu uns durch. Nicht nur ich hatte in diesen Tagen Angst, nicht aus diesem Armeedienst zur vorgesehenen Zeit entlassen zu werden. Am 17. Oktober war der Fernsehraum um 16:00 Uhr, sonst gähnend leer,  brechend voll. Alle wollten die Antrittsrede von Egon Krenz sehen, um dann doch enttäuscht zu werden, und das Gefühl zu haben, dass sich ja doch nichts ändert. Nach dem wir die letzten 3 Tage vor der Entlassung immer wieder „Zivilalarm“ geprobt hatten, war es endlich soweit. Der 26. Oktober war da! Unsere Entlassung! Nix wie weg und Tschüß Rügen! Ich will dich so schnell nicht wiedersehen!

Welche Ironie des Schicksals, schon am nächsten Tag fuhr ich wieder hin, um nach meinem PA zu forschen der an meinem Hauptwohnsitz nicht aufzufinden war.

Fazit meines Bausoldatenseins: Ich habe viele Menschen kennen gelernt, Armeeangehörige und Zivilisten die uns Bausoldaten mit Respekt behandelt haben, aber auch genauso viele die das Gegenteil waren. Ausgestattet mit einem guten Nervenkostüm, habe ich diese Zeit relativ unbeschadet überstanden, ich habe aber auch Kameraden daran zerbrechen sehen. Ich hätte lieber 3 Jahre Zivildienst gemacht als 18 Monate Armee. Aber für Totalverweigerung war ich zu feige!

Heute wohne ich wieder auf Rügen. In den letzten Jahren bin ich immer wieder in Prora gewesen. Der Ort hat für mich langsam seinen Schrecken verloren!

zurueck155

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