5 Tage Sellin

5 Tage Sellin

Vorweg muß ich sagen, daß das Erleben der Bausoldatenzeit so unterschiedlich war wie die Anzahl der Bausoldaten, jeder hat seine eigene Geschichte und sein eigenes Erleben dieser
Zeit. Von sehr vielen weiß ich, daß sie die Zeit als existenziell bedrohlich wahrnahmen, manche bis zum bitteren suizidalen Schluß. Es gab aber auch einige, die diese Zeit weit gelassener nahmen, dazu zähle auch ich mich. Aus Spaß habe ich immer gesagt, wobei allerdings eine gehörige Portion Ernst war: „Ich bin mit der Vorstellung hingegangen, daß ich dreimal am Tag Kloppe und einmal zu essen bekomme, die konnten mich eigentlich nur noch positiv
überraschen.“ Unsere Frauen haben es zu Hause mit den Kindern sicher viel schlimmer gehabt. Für mich war es immer wichtig meine innere Freiheit zu behalten, da konnten die „Säcke“ hochkant stehen. Und alles was sie an Repressalien hatten (wobei ich denke, daß es bei uns nicht mehr war als bei der normalen Truppe, mal abgesehen von der permanenten
Überwachung), wurde durch die enge Gemeinschaft untereinander abgefangen. Übrigens eine der wichtigsten Erfahrungen die ich aus dieser Zeit mitgenommen habe: Wie eng eine Gemeinschaft zusammenrücken kann.

Nun aber zum Knast. Bekommen habe ich die 5 Tage wegen Majestätsbeleidigung – ich hatte die Kompanieführung als Taugenichtse, Tagediebe und Tunichtgute bezeichnet. Leider saß der Völkel bei dieser Einschätzung im Zug nebenan. So genau konnte ich mich daran gar nicht mehr erinnern, aber am nächsten Tag ging die Misere halt los, ich sollte eine Stellungnahme schreiben zum Verstoß gegen die Dienstvorschrift.

NVA / BE II - 4BKO.U. den 26.3.87
BS Wagner, Bernhard
WdA.Nr.: 76/0004988

Stellungnahme

Am 25.3.87 war ich im Ausgang. Ich bin mir keines Verstoßes gegen die Dienstvorschrift
bewußt. Ich kann mich auch nicht erinnern, in Gesprächen Namen oder Dienststellungen von Vorgesetzten genannt zu haben. Auch BS Cygan und BS Grosse, mit denen ich zusammen war, können sich an derartiges nicht erinnern. Ich muß noch erwähnen, daß ich Alkohol getrunken habe, aber nicht soviel, daß ich das Ansehen der NVA geschädigt hätte, und dadurch mein Erinnerungsvermögen etwas erschwert ist, so daß ich Sinn und Wortlaut unserer Gespräche nicht wiedergeben kann.

Mit dem Alkohol das mußte ich erwähnen, weil es verboten war das Ansehen der NVA durch übermäßigen Alkoholgenuß zu schädigen. Allerdings war der miese Lenz mit dieser Stellungnahme nicht zufrieden, ich sollte noch eine schreiben.

Stellungnahme

Hauptmann Lenz verlangte von mir eine Äußerung niederzuschreiben, die ich gestern im Zug zwischen Bergen und Prora gemacht haben soll. In meiner vorhergehenden Stellungnahme hatte ich bereits erklärt, daß ich mich an Sinn und Wortlaut der Gespräche zwischen BS Grosse, BS Cygan und mir nicht erinnern kann, deswegen bin ich auch nicht in der Lage, der Anordnung von Hauptmann Lenz folge zu leisten. Auf mitfahrende Reisende im Zug habe ich nicht geachtet, lediglich Unterleutnant Völkel ist mir aufgefallen, da ich ihn kenne.

Na ja, jedenfalls lautete das Urteil beim Appell 5 Tage Arrest in der Arrestanstalt. Völkel durfte mich persönlich mit einem W50 hinbegleiten. Anzuziehen war die Felddienstuniform, aus der bin ich auch die ganzen 5 Tage nicht herausgekommen, einschließlich der Unterwäsche.
Beim Eintreffen wurde ich dem Diensthabenden übergeben, der mich als erstes fragte wie lange ich noch habe. Als ich ihm sagte, daß die Entlassungsuntersuchung gleichzeitig meine Hafttauglichkeitsuntersuchung war, da sollte ich mich erst mal im Dienstzimmer hinsetzen und Kaffee trinken. Der Diensthabende mußte seine Runde machen und sein Stellvertreter lag auf einem Sofa und schlief, während ich am Tisch saß und Kaffee trank. Im Schrank standen die Maschinenpistolen – so begann mein Knast. Untergebracht wurde ich dann im Keller in der Arrestzelle, die wurde aber der Einfachheit halber gar nicht erst zugeschlossen. Erst mal mußte ich Objektreinigung betreiben, Hof fegen, Wiese harken und so was. Die Wiese harkte ich im Zeitlupentempo, sehr zur Belustigung der vorbeigehenden Urlauber. Als ich den Bürgersteig im Aussenbereich des Objektes fegen mußte, wurde mir ein bewaffneter Posten mitgegeben. Den hab ich gefragt, ob er sich nicht dämlich dabei vorkommt, er sagte aber: „Was soll ich denn machen, ich krieg doch auch nur Befehle:“
Zu den Mahlzeiten mußte ich in der Küche helfen, das war die schönste Zeit für mich. Meine Aufgabe war hauptsächlich der Abwasch, aber zu Mittag mußte ich auch bei der Essenausgabe helfen. Was Küchendienst bedeutet kann sich jeder leicht denken – einen ständig vollen Bauch mit den besten Sachen. Als ich zurück nach Prora gebracht wurde, war meine Umhängetasche voller Büchsen.
Ich weiß, das andere Bausoldaten die Knastzeit völlig anders erlebten, besonders gefürchtet war der Knast der Unteroffiziersschule Prora, aber meine Knastzeit war absolut erträglich, bis auf die hygienischen Umstände.
 

zurueck40

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