OSTSEE-ZEITUNG

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Donnerstag, 29.05.2008

„Hier geschieht Verharmlosung“

Die Erlebnisse des Ehepaares Pietsch auf Vergnügungsreise an Ost- und Nordsee 1908/1912 schildert Stefan Wolter in seinem neuen Buch. Mit dem über seine Erlebnisse als Bausoldat in Prora wurde er bekannt.

OSTSEE-ZEITUNG:
Warum wollten Sie nicht schießen? Stefan Wolter: Ich wusste ja, wem die Kugel gelten sollte. Die im Elternhaus vorgelebte pazifistische Grundeinstellung, dazu eine große Verwandtschaft und viele Freunde im Westen machten mir frühzeitig klar, dass ich mich verweigern müsse.

OZ: Gab es Alternativen dazu? Wolter: Es gab seit 1964 den Weg zu den Bausoldaten. Das waren Armeeeinheiten ohne Waffenausbildung. Wir trugen einen Spaten auf den Schulterstücken. Es war ein fauler Kompromiss, weil wir für das Militär ausgebeutet wurden. OZ: Würden Sie diesen Weg nochmals gehen? Wolter: Mit dem Wissensstand von heute würde ich total verweigern. Dafür ging man in der Regel einige Jahre in den Knast. Dass das am Ende der achtziger Jahre weniger der Fall war, wusste ich damals nicht. Ich bin kein Held. Ich wollte das System nicht verteidigen, mich aber auch nicht zerstören lassen. Prora hat ja dann auch gelangt. OZ: Inwiefern?

Wolter: Prora hat viele Menschen gebrochen. Es war eine große Mühle. Im glücklichsten Fall ist das Widerstandspotenzial hier gewachsen. Manche verfielen aber der Lethargie. Wir hatten am Hafen Mukran mitzubauen, zehn bis zwölf Stunden Baustelle, danach Schikanen in Block V, aus dem wir kaum in den Ausgang durften.

OZ: Wie sehen Sie heute Prora? Wolter: Noch immer als das, was es gewesen ist. Nicht als ehemaliges KdF-Bad, als das es nach der Wende vermarktet wurde, auch nicht als Partyort mit Wellness-Charakter, zu dem Prora gemacht wird. Hier geschieht Verharmlosung und Verdrängung der Geschichte. Prora war einer der größten Militärstandorte der DDR mit über 2000 Bausoldaten in Block V. Drum herum wird jetzt alles hübsch hergerichtet. Eine feine Grasnarbe wächst auf dem Appell- jetzt Zeltplatz. Bunte Farben übertünchen das Geschehen. In Block V, der künftigen Jugendherberge, konnte ich nur einen einzigen Raum im Originalzustand retten. Hier möchte ich an die Geschichte erinnern.

OZ: Im Juli lesen Sie aus Ihrem Buch „Der Prinz von Prora“. Was kann das Publikum erwarten?
Wolter: Eine authentische Geschichte mit vielen Briefen an meine Eltern. Ich war damals 19. Sie zeigt, welchen Schrecken allein der Begriff „Prora“ bedeutete. Er kann meiner Meinung nach nicht für Vergnügen stehen.
 
OZ: Warum haben Sie es erst jetzt aufgeschrieben? Wolter: Das Buch erscheint bald in der dritten Auflage. Als ich es schrieb, waren 15 Jahre vergangen. Es brauchte Zeit, die verdrängten Gefühle wieder zuzulassen. Mich ärgerte auch, dass sich um die wahre Geschichte des Ortes kaum einer bemüht. Zum Event Prora 03 hat man Block V entkernt und dem Verfall preisgegeben. Er wurde nichts dokumentiert. Dabei residierte unter uns der Stab, die Kommandozentrale für das Baubataillion Mukran.

OZ: Kostet es Überwindung, die Geschichte dort vorzulesen, wo Sie all das durchlebt haben?
 
Wolter: Ja, ich hoffe aber, damit noch mehr Sensibilität für den Ort vermitteln zu können.

OZ: Und jetzt haben Sie ein neues Buch geschrieben?

Wolter: Ich habe die Reiseaufzeichnungen meiner Ururgroßeltern veröffentlicht. Sie reisten vor 100 Jahren über Berlin und Stettin nach Sassnitz und mit dem „Imperator“ nach Südschweden und Bornholm. Zum ersten Mal sahen sie die Ostsee. Daher der Titel: „Welch überwältigender Anblick bietet sich unseren staunenden Augen dar!“ Die Beschreibungen sind erfrischend und froh, vor allem die Schiffskranken werden hautnah erlebbar. In der Lesung werde ich einiges über die Entwicklung des Tourismus auf Rügen erzählen. Sicherlich wird auch Prora zur Sprache kommen. Interview: I. H.

Wolters Lesungen
Am 2. Juni 19.30 Uhr liest Stefan Wolter im Literaturkreis in den Vier Jahreszeiten, im Hotel „Vier Jahreszeiten“ in Binz aus seiner Neuerscheinung: „'Welch überwältigender Anblick bietet sich unseren staunenden Augen dar!' Ehepaar Pietsch auf Vergnügungsreise im Ost-Nordsee-Raum im Jahre 1908/12.“ Am 24. Juli liest er im Dokumentationszentrum Prora aus seinem Buch „Hinterm Horizont allein – Der ‚Prinz' von Prora“ (2. Aufl. 2007).
Mehr Infos zu Prora und zum Autor: www.proraer-bausoldaten.de

 

Wolter-OZ

Der frühere Bausoldat Stefan Wolter im Gemeinschaftsraum der Bausoldaten im Block V. Die Karte an der Wand ist über 20 Jahre alt und eines der wenigen erhaltenen Dokumente dieser Zeit. Anfang Juni liest er in Binz aus seinem neuen Buch und im Juli im Doku-Zentrum Prora aus seinen Erlebnissen als Bausoldat in Prora.

Foto: küma

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OSTSEE-ZEITUNG - Leserbrief am 5.6.2008

Ostseezeitung03

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Antwort auf den Leserbrief vom 5.6.2008

Verdrehte Tatsachen!

Der Leserbrief des Oberst a. D. Karl-Heinz Beinhoff aufgrund meines Interviews über die Bausoldaten in Prora kann nicht unkommentiert bleiben. Zu keinem Zeitpunkt wurde den Waffenverweigerern der DDR eine Mitwirkung  am Aufbau des NVA-Museums in Prora angeboten. Inzwischen verbietet die Art und Weise der dort präsentierten Geschichtsdarstellung ein Engagement an dieser Stelle. Im Übrigen war der Betreiber des Museums vor rund zehn Jahren in eine mögliche Inverlagnahme meines autobiografischen Buches einbezogen worden. Er stand dem Vorhaben reserviert gegenüber, weil doch die  Sicht der ehemaligen Vorgesetzten gewiss eine andere sei. Die Geschichte der Bausoldaten in Block V wird bis heute verdrängt, der authentische Ort entkernt. Einzig die Internetplattform www.proraer-bausoldaten.de versucht das Dunkel zu erhellen. Bis heute wird meine Publikation im NVA-Museum nicht präsentiert. Herr Beinhoff sollte sich hier um einen Platz für diese verbale Geschichtsaufarbeitung bemühen, statt mit verleumderischen Behauptungen zu agieren.

zurueck91

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